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Wo liegt
eigentlich
dieses
OST
DEUTSCH
LAND?
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Gemeinsinn. Solidarität. Respekt. Alles „Werte“ meiner Kindheit als Jungpionier. Doch heute sollen in meiner Heimat nur noch „wütende Bürger" leben?
Es ist an der Zeit, sich dem Thema zu nähern: frei von Vorwürfen. Frei von Schuld. Dafür in Ölfarbe und Rost, auf Leinwände gepresst.
35 Jahre nach der Deutschen Einheit.
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Immer wieder taucht sie auf, die innerdeutsche Grenze, zum Beispiel beim Anteil an Spitzenpositionen in Wirtschaft, Politik, Kultur, Medien oder Militär, Hauptsitze von DAX-Unternehmen, Höhe von Vermögen und Erbschaften, Grundbesitz, Immobilien, Beschäftigungen im Niedriglohnsektor, Frauenanteil, Parteizugehörigkeit und einem unübersehbaren Wahlverhalten.
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Spurensuche
Mein Leben lang werde ich mich an die allgegenwärtige Unsicherheit der Nachwendezeit erinnern: In nahezu jeder Familie waren Kurzarbeit, Umschulungen, Kündigungen, ABM oder die Anerkennung von Fachkompetenzen ein Thema. In den „neuen Ländern" begann die soziale Marktwirtschaft nicht nur mit den erhofften Freiheiten, sondern auch mit der Entlassung von Millionen Menschen.
Meine Eltern und einige Lehrer wirkten überfordert und gekränkt. Ihre Unsicherheit war so stark, dass sie an mich weitergegeben wurde, ebenso wie ihre wundervollen Geschichten über das Glück eines Neubeginns und das Ende dieser Diktatur.
Vielleicht ist es der Mix aus den Erfahrungen zweier Systeme, der meine Generation einzigartig macht: Wir sind in der DDR aufgewachsen und lebten später in einem Land, dessen Werte wir auch schnell begriffen. Deshalb könnten wir emphatisch erklären, welche Leistungen die Ostdeutschen vollbrachten. Mein Versuch liegt in meinen Bildern.
Der rostigbraune Nagel
Noch immer erzählen Menschen in den östlichen Bundesländern davon, wie einschneidend es ist, wenn die eigenen Kompetenzen abgewertet werden, wenn das Leben davor nicht mehr zählen darf. Aber es gab ein Leben, das Anerkennung verdient. Es war nur verschwunden. Die DDR hörte auf zu existieren, die Menschen nicht.
Der Erfolg der AfD findet hier wahrscheinlich seinen Anfang, vermute ich. Denn die AfD besetzt in den östlichen Bundesländern eine politische Lücke und gibt vor, ein "Sprachrohr des Ostens" zu sein. Zwischen Anklam und Ilmenau, zwischen Eisenhüttenstadt und Sangerhausen, sitzt dieser Nagel tief in der Brust.
Aber ich wehre mich gegen das Klischee des „braunen Ostens": Es gibt Erfahrungen, die fast alle Ostbiografien teilen. Nur führen diese nicht zwangsläufig zu einer einheitlichen politischen Meinung. Wo immer ich kann, erkläre ich und rücke zurecht, weil es um meine Familie und meine Freunde geht, weil es meinen innersten Kern berührt.
Das Jahr 2015
Im Sommer 2015 suchten Hunderttausende Schutz in Europa, unter lebensgefährlichen Bedingungen. Das wusste ich durch meine Arbeit bei Ärzte ohne Grenzen. Von den EU-Außengrenzen erreichten uns fast täglich furchtbare Nachrichten: Am 02. September wurde Alan Kurdi gefunden, ein Dreijähriger aus Syrien, ertrunken im Mittelmeer. Zwei Tage später öffnete Angela Merkel die Grenzen.
Ich empfand ihre Geste als bitter nötig und konsequent: Deutschland verhinderte eine humanitäre Krise. Aber in diesem Moment wusste ich für mich, dass diese Art der Politik begleitet werden muss. „Wir schaffen das" galt nicht überall als Signal des Aufbruchs, sondern als Beweis der Entfremdung von „denen da oben".
Freunde aus der Region und ich beobachteten, dass im Osten eine Zuwanderung eher als Konkurrenz um den zweiten Platz in der Gesellschaft begriffen wird: „Es reicht nicht für alle.“ Diese erneute Unsicherheit könnte einen Teil unserer Solidarität untergraben haben. Sie rechtfertig aber keinen Rechtsextremismus.
Ostdeutsche und Migranten
Seit Jahrzehnten gehören Ostdeutsche und Migranten zu Deutschland. Gemeinsam machen sie fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung aus. Aber beide Gruppen beschreiben häufig ein Gefühl des Fremdseins. Eine Studie belegt dazu Aufstiegskonflikte und eine Abwertung der eigenen Lebensleistungen. Nur Stereotype werden verlässlich bedient.
Dabei frage ich mich (oder hoffe viel mehr), ob Ostdeutsche besonders empathisch für die Biografien von Migranten sein könnten? Welch schöner Gedanke! Immerhin teilen sie einen kleinen Teil ihrer Erfahrungen.
Ostdeutsche könnten deshalb nicht nur verstehen, sondern nachfühlen: Trotz eines massiven Umbruchs suchten und fanden sie Identitäten. Viele Ostdeutsche konnten und wollten sich nicht in der Bonner Bundesrepublik auflösen, sondern entwickelten individuelle Lebensgeschichten. Für die Anerkennung dieser Eigenständigkeit streiten sie.
Was könnte die Zukunft bringen?
Die Basis, auf der wir als Gemeinschaft miteinander diskutieren, könnten wir verbessern: Gefühlt gibt es nur noch ein „dafür" oder ein „dagegen". Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine verschärften unseren Ton massiv. Dieser Weg muss enden.
Es wird Zeit, dass wir zuhören, auch denen, deren Meinung wir nicht teilen oder deren Haltung wir ablehnen. Wir müssen wieder sehen, welchen Wert unabhängige Medien in einer Demokratie erfüllen und dass nicht alles in wenigen Worten erklärbar ist: Komplexe Themen brauchen komplexe Antworten. Das ist anstregend, auch notwendig.
Es braucht in den östlichen Bundesländern mehr demokratisches Organisieren und politisches Engagement. Nicht alles kann „denen da oben" überlassen werden. Nicht alles liegt in „deren" Verantwortung.
Jeder und jede, die gesehen werden will und gestalten möchte, wird gebraucht. Aber bitte mit Respekt, Klugheit und vor allem mit Zuversicht!
In einem gemeinsamen Europa und einem vereinten Deutschland braucht es uns Ostdeutsche.
Wo liegt eigentlich dieses
OST
DEUTSCH
LAND?
Eine Wanderausstellung von Oliver Barth
STATION 1
Riegelbau Bestehornpark Aschersleben
09. November 2024 bis 06. Januar 2025
STATION 2
Steinhaus Bautzen
15. März 2025 bis 02. Mai 2025
STATION 3
Friedenskirche Frankfurt (Oder)
23. Mai 2025 bis Juli 2025